Verschwommenes Sehen, Schmerzen bei Augenbewegungen, veränderte Farbwahrnehmung oder Doppelbilder – viele MS-Betroffene kennen diese Symptome. Denn die Augen gehören zusammen mit dem Gehirn und dem Rückenmark Teil des Zentralen Nervensystems (ZNS) und können daher ebenfalls von MS-typischen Nervenschädigungen betroffen sein.
Prof. Dr. Frederike Oertel von der Charité erklärte in einem unserer interessanten, medizinischen Online-Vorträge, wie Untersuchungen der Netzhaut die Diagnosestellung bei MS unterstützen und Einblicke in den Verlauf der MS geben können.
Die Nervenzellen der Augen befinden sich in der Netzhaut (Retina), die das Innere der Augen auskleidet. Dort werden die Lichtreize, die auf das Auge treffen, verarbeitet und über den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet. Bei einer Sehnerventzündung (oder Optikusneuritis), die häufig in Zusammenhang mit MS, aber auch bei anderen Erkrankungen auftritt, werden diese Nervenzellen angegriffen. Das führt zu den typischen Sehstörungen – die meist nur ein Auge betreffen.
Eine Sehnerventzündung kann mit einer Optischen Kohärenztomographie (OCT) nicht-invasiv diagnostiziert werden. Dieses Verfahren misst die Dicke der verschiedenen Netzhautschichten. Besonders die Schichten mit den Ganglienzellen und ihren Axonen – den Nervenfasern, die die Lichtinformationen weiterleiten – stehen dabei im Fokus. Schädigungen dieser Nerven lassen sich durch ein OCT so hoch aufgelöst darstellen. Solch präzise Darstellungen sind im Gehirn bisher nicht möglich, erklärte Prof. Oertel.
Die OCT ist nicht nur in der Lage, akute Sehnerventzündungen zu erkennen, sondern auch Veränderungen, die subklinisch, also ohne erkennbare Symptome ablaufen. Dadurch kann das Verfahren helfen, MS früher und genauer zu diagnostizieren und bei Bedarf eine gezielte Behandlung eines Schubes einzuleiten. Wie Prof. Oertel ergänzte, kann das Verfahren zudem auch Hinweise auf den Krankheitsverlauf bei MS wie Schübe liefern. Außerdem können ähnliche Erkrankungen, wie die Neuromyelitis optica (NMO) besser von der MS abgegrenzt werden, da das Schädigungmuster der Augen bei der NMO anders verläuft als bei der MS.
Obwohl das OCT derzeit noch nicht Teil der Standardversorgung bei MS ist und die Kosten von den Krankenkassen nicht übernommen werden, bietet das Verfahren großes Potenzial. Mit den neuen MS-Diagnosekriterien, die im Herbst 2024 vorgestellt wurden, wurde das OCT erstmals auch offiziell als Diagnoseverfahren aufgenommen.
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Welches Potenzial bietet die OCT? Wie lese ich einen OCT-Befund? Wie kann eine OCT die MS von anderen Erkrankungen abgrenzen. Und welche Rolle spielen die Augen eigentlich für den zirkadianen Rhythmus? Die Antworten auf diese und weitere Fragen, erfährst du im Video.