Bevor wir dieser Frage nachgehen, schauen wir uns erst einmal an, was Stress überhaupt ist und warum gerade chronischer Stress einen so negativen Einfluss auf die MS hat.
Stress ist ein natürlicher Mechanismus, der unseren Körper kurzzeitig leistungsfähiger macht. Kurzzeitiger Stress ist eigentlich etwas Positives, denn er umfasst alle geistigen und körperlichen Reaktionen, die dabei helfen sollen, außergewöhnliche Situationen und Herausforderungen zu bewältigen. Die Kampf-Flucht-Reaktion setzt ein in dem die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet werden. Die Aktivierung des Nervensystems macht uns aufmerksamer und handlungsfähiger, um schnell reagieren zu können. Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck stiegt, die Atmung wird schneller und Muskeln spannen sich an – all unsere Sinne werden geschärft. In nur einem Bruchteil einer Sekunde laufen all diese Reaktionen in unserem Körper ab. Unser Stresssystem ist so programmiert, dass es kurz danach abschwächt und wieder ins Gleichgewicht kommt.
“Menschen mit MS erfahren oft psychologischen Stress, der nicht nur eine Folge der Auseinandersetzung mit der Ungewissheit und dem Fortschreiten der Krankheit ist, sondern auch die Symptome verschlimmern kann. Psychologischer Stress kann entzündliche Reaktionen auslösen und möglicherweise die Anzahl und Schwere von Schüben beeinflussen. Zudem kann die emotionale Belastung durch MS, einschließlich der Bewältigung von chronischen Schmerzen, Müdigkeit und Veränderungen der eigenen Fähigkeiten, das Risiko für psychische Probleme wie Depressionen und Angstzustände erhöhen. Die Behandlung von psychologischem Stress durch umfassende Betreuung, einschließlich psychologischer Unterstützung und Stressmanagementstrategien, ist entscheidend, um die Lebensqualität zu verbessern und möglicherweise den Krankheitsverlauf bei Menschen mit Multipler Sklerose positiv zu beeinflussen.”
Prof. Dr. Sven Meuth, Direktor der Klinik für Neurologie an der Universitätsklinik Düsseldorf
Stress steigert unsere Aufmerksamkeit, Kraft und unsere Reaktionsfähigkeit. Er wirkt wie Training auf unseren Organismus, denn wir lernen dadurch bestimmte Situationen zu bewältigen. Treten uns ähnliche Herausforderungen erneut gegenüber, ist die Stressreaktion weniger ausgeprägt und wir fühlen uns weniger belastet. Allerdings ist es wichtig, dass wir genug Ressourcen zur Bewältigung haben und danach wieder zur Ruhe kommen, ansonsten kann es sein, dass die Stressreaktion länger anhält als nötig.
In der heutigen Gesellschaft, in der Stressoren und Reize allgegenwärtig sind, kann chronischer Stress jedoch problematisch werden. Kann eine Stressreaktion nicht abklingen, weil Bewältigungsmechanismen, wie körperliche Bewegung oder Entspannungsübungen fehlen, werden die Stresshormone nur langsam abgebaut und es kann zu chronischem Stress kommen. Chronischer oder wiederholter Stress kann zu einer Dysregulation führen, das Immun- und Nervensystem auf mehreren Ebenen betrifft.
Stress kann die Produktion von Entzündungsmediatoren im Körper erhöhen. Diese Entzündungsreaktionen sind normalerweise dazu da, den Körper vor Infektionen und Verletzungen zu schützen. Bei Menschen mit MS kann jedoch eine übermäßige Entzündung zu einer Verschlechterung der Symptome führen und im schlimmsten Fall auch zu einem MS-Schub. Stress kann außerdem dazu führen, dass sich Verdauungsbeschwerden entwickeln, die Darmbarriere geschädigt wird und das Immunsystem überreagiert und die Autoimmunreaktion verstärkt wird, was die Schädigung der Nerven und die Entzündung im Nervengewebe erhöht.
Das Darmmikrobiom spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Immunsystems, da es eine Vielzahl von Immunzellen beherbergt und eine Barriere gegen Krankheitserreger darstellt. Wenn Stress das Verdauungssystem beeinträchtigt, kann dies auch Auswirkungen auf das Immunsystem haben. Stressbedingte Entzündungen und Funktionsstörungen im Verdauungstrakt können das Gleichgewicht des Immunsystems stören, was unter anderem zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen führt.
Die Verbindung zwischen Stress und MS-Schüben ist besonders bedeutsam. Die übermäßige Entzündung und die verstärkte Autoimmunreaktion, die durch Stress verursacht werden, können Schübe auslösen oder deren Schweregrad erhöhen. Dies macht es für Menschen mit MS besonders wichtig, Stress zu reduzieren. Stress kann zusätzlich die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen, da er Müdigkeit, Schlafstörungen und emotionale Belastung verstärken kann. Doch es gibt gute Nachrichten – es gibt zahlreiche Strategien, um mit diesem Stress umzugehen und ein paar davon schauen wir uns jetzt einmal an.
Eine der wichtigsten Strategien ist die Stressbewältigung durch Entspannungstechniken. Regelmäßiges Meditieren, Yoga oder autogenes Training können helfen, den Stresspegel zu senken und die Symptome zu lindern.
💡 4-7-8 Atmung
- Setze dich bequem auf einen Stuhl oder in einen Sessel. Zum Einschlafen kannst du die Übung auch im Liegen im Bett durchführen.
- Atme aus, bis deine Lungen vollkommen leer sind.
- Atme nun langsam durch die Nase ein – 4 Sekunden lang.
- Halte den Atem 7 Sekunden lang an, bleibe dabei entspannt. Geht das (noch) nicht, übe erst einmal mit weniger Zählern und steigere dich im Lauf der Zeit.
- Atme nun 8 Sekunden lang kräftig und gerne geräuschvoll durch den Mund aus. Auch hier kannst du dich langsam steigern. Wichtig ist nur, dass die Ausatmung länger ist als das Einatmen, denn ein verlängertes Ausatmen stimuliert den Erholungsnerv.
- Wiederhole das Ganze 4-mal.
Gerade in der heutigen Zeit, des ständigen Medienkonsums und der damit verbundenen Reizüberflutung haben wir verlernt, was Erholung überhaupt ist. In Zeiten der „Entspannung“ legen wir uns vor den Fernseher, streamen Serien und scrollen durch soziale Netzwerke. Die Reizbelastung nimmt kein Ende und dennoch verbinden wir dies mit Entspannung und Ruhepausen.
Echte Erholung und Entlastung unseres Nervensystems funktioniert allerdings nur, wenn wir uns Pausen von all diesen Reizen nehmen. Erholung umfasst das Auffüllen und Regenerieren von körperlichen, seelischen und geistigen Kräften, daher ist es wichtig, sich in Entspannungsphasen von Ablenkungen frei zu machen. So kann ein Spaziergang in der Natur, ohne Smartphone oder Musik auf den Ohren dabei helfen, allein durch die frische Luft, die körperliche Bewegung, das viele Grün und die Naturgeräusche zu entspannen. Die Gedanken können wieder freier fließen, die Kreativität wird gefördert und Stress abgebaut.
Ein paar Minuten auf dem Sofa liegen, die Augen schließen und sich nur auf die Umgebungsgeräusche fokussieren. Oder aber einen festen Punkt in der Wohnung suchen und einfach den Blick ein paar Minuten dort ruhen lassen. Das Hilft dem Nervensystem dabei zu entspannen. – Übrigens eine prima Übung, die du immer und überall zwischendurch machen kannst.
Akupressur: Wer häufig mit Verspannungen im Schulterbereich zu tun hat, kann Akupressur einmal für sich ausprobieren. Die Akupressurmatte ist eine Schaumstoff Unterlage, die mit einem Nadelbett aus Kunststoff versehen ist. Sie soll die Durchblutung anregen, Muskeln lockern, die Nerven stimulieren und Schmerzen lindern. Außerdem hilft sie dabei Stress abzubauen. Du kannst die Matte einfach auf den Boden legen und dich mit freiem Oberkörper ca. 20 Minuten darauflegen. Wenn du es am Anfang zu schmerzhaft empfindest, lass gerne ein dünnes T-Shirt an. Decke dich zu und nimmt dir Zeit dich zu entspannen. Lenke dich nicht mit dem Smartphone oder TV in dieser Zeit ab. Konzentriere dich voll und ganz auf deinen Atem. Akupressurmatten bekommst du bereits ab 30 EUR.
Regelmäßige Pausen: In unserem Arbeitsalltag verbrauchen wir reichlich unserer Ressourcen. Daher ist es wichtig nach ca. 60-90 Minuten konzentrierter Arbeit eine kleine 5-minütige Pause einzulegen. Stehe kurz auf, strecke dich und lüfte einmal das Büro gut durch. Gönn deinen müden Augen eine kleine Regeneration: Reibe deine Handflächen aneinander, bis sie leicht warm sind. Schließe deine Augen und presse deine Handballen leicht auf deine Augenhöhle. Nimm drei tiefe Atemzüge und senke deine Hände wieder. Diese Übung ist auch wieder ein schnelles SOS-Tool zur Entspannung.
Wechselduschen, Vollbad oder Sauna:
Temperaturreize aktivieren den Vagusnerv, welcher für Ruhe- und Erholung zuständig ist. Eine kalte Dusche am Morgen oder Wechselduschen helfen dabei, dich entspannt zu fühlen. Auch Wärme kann deinen Vagusnerv aktivieren. Je nachdem, mit was du dich wohler fühlst. Probiere beides einmal aus und beobachte, wie dein Nervensystem auf die jeweilige Temperatur reagiert und womit du dich besser entspannen kannst.
Für die warmen Temperaturen kannst du einmal den Gang in die Sauna oder eine heiße Badewanne ausprobieren.
Eine gesunde Lebensweise spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle. Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige körperliche Aktivität können dazu beitragen, den Körper widerstandsfähiger gegen Stress zu machen. Außerdem ist es wichtig, auf ausreichend Schlaf zu achten, da Schlafmangel die Stressbelastung erhöhen kann. Darüber hinaus ist es ratsam, den Konsum von Alkohol und Nikotin zu reduzieren oder zu vermeiden, da diese Substanzen Stress verstärken können.
Es ist auch ratsam, Stressoren im Alltag zu identifizieren und Strategien zu entwickeln, um mit ihnen umzugehen. Überlege dir einmal: Was stresst mich? Welche Situationen empfinde ich als stressig im Alltag, Beruf oder mit der Familie? Dies kann bedeuten, Prioritäten zu setzen, Aufgaben zu delegieren oder auch „Nein“ zu sagen, wenn es notwendig ist. Die Fähigkeit, Grenzen zu setzen, ist entscheidend, um Stress in Schach zu halten.
Überlege dir auch, durch wen oder was du Kraft und Energie schöpfst. Was entspannt dich? Was/Wer tut dir gut? Deine bester Freundin, dein Haustier oder einfach die Natur, Musik oder Kreativität.* Integriere auch deine Energiespender regelmäßig in deinen Alltag.
Mit den für dich richtigen Bewältigungsstrategien, einer positiven Einstellung und Unterstützung aus dem sozialen Umfeld kannst du langfristig Stress reduzieren und ein ausgeglichenes Leben führen.