Es waren aufregende und stressige Tage, ich hatte gerade ein großes Even-Projekt beendet und saß im Zug zurück nach Hause. Schon die Tage davor bemerkte ich starke Kopf- und Augenschmerzen sowie Erschöpfung – sicher nur eine Erkältung. Wieder angekommen, erwartete mich direkt der Umzug in die neue Wohnung. Also hieß es Durchhalten am Wochenende und erst am Montag zum Arzt gehen. Dieser schickte mich dann ins Krankenhaus und nach einer Kortisonbehandlung aufgrund einer Sehnerventzündung und einigen Untersuchungen nahmen die Dinge ihren Lauf…
Die Diagnose Multiple Sklerose habe ich vor fünf Jahren erhalten. Für mich war es danach wichtig, zügig in den Job in der Projektorganisation zurückzukehren und um ehrlich zu sein, habe ich mir (zu) wenig Zeit genommen, um die Diagnose zu realisieren und auch meinem Körper etwas Ruhe zu geben, um sich zu erholen.
Meine Kolleg*innen auf der Arbeit haben zwar alle verständnisvoll darauf reagiert, dass ich plötzlich krank geschrieben war. Ich habe allerdings nur mit wenigen offiziell über die Diagnose gesprochen und war schnell wieder zurück in meinen alltäglichen Routinen: Mit MS im Berufsleben wieder 100% einsteigen und mit Freund*innen feiern gehen – auch darauf hin, dass mir im Krankenhaus gesagt wurde, ich sollte mir in Ruhe eine Neurologin suchen, aber mit meinem Leben weitermachen wie bisher – das war meine Devise.
Ich hatte vorher keine Berührung mit MS und habe recherchiert, was mich erwartet und innerlich immer wieder gespürt, dass sich etwas ändern muss. Nach und nach wurde mir der Druck auf der Arbeit zu stark, was ich zu der Zeit aber nicht richtig einordnen, kommunizieren oder gar mit der Diagnose in Verbindung bringen konnte. Es stand gerade viel im Umbruch, u.a. große Änderungen im Unternehmen sowie ein interner Teamwechsel an. Allerdings hat mir die neue Position nicht die nötige Ruhe und Sicherheit gegeben, die ich gebraucht hätte und noch unregelmäßigere Arbeitszeiten, die mich zusätzlich belastet haben.
Ich habe daraufhin den Job gewechselt und habe dort gegenüber meinen Teamleiter*innen offen über die MS gesprochen – womit ich auf Verständnis traf. Allerdings war das die Zeit vom Lockdown während der Corona-Pandemie und ich war dadurch zu fast 100% der Arbeitszeit im Home-Office tätig. Das isolierte Arbeiten hat den Umgang mit der Krankheit nicht einfacher gemacht. Daraufhin habe ich beschlossen, eine Psychotherapie anzufangen, um mich fast zwei Jahre mit mir und auch sehr stark meinem Verhältnis zu Arbeit, dem Wert meiner Arbeit und der Stellung und dem Anspruch, den ich selber an mich im Job habe, auseinanderzusetzen. Die Beschäftigung mit der MS hat sich erst wie eine Bremse angefühlt, es machte etwas mit meinem Selbstwert: Wer bin ich, wenn ich nicht zu jeder Herausforderung ja sage? Wenn ich nicht die Letzte im Büro bin?
Das lag nicht daran, dass Kolleg*innen eine Veränderung bemerkt oder gar kritisiert haben, sondern vielmehr an den Ansprüchen und dem Selbstverständnis, die ich an meinen Körper und seine Leistungsfähigkeit hatte.
Es hat seine Zeit und Kraft gedauert, mich damit auseinander zusetzen und in dem Fall auch die Warnzeichen meines Körpers zu verstehen und mir letztlich eine Art „Werkzeugkoffer“ anzueignen, auf den ich mich in brenzlichen Situationen berufen kann, wenn ich in alte Muster zurückfalle.
Als ich wieder in eine extreme Phase mit vielen Überstunden geriet, hat mir die Therapie geholfen, das zu erkennen und einen Schritt zurückzutreten. Ich konnte glücklicherweise meine Arbeitszeiten reduzieren, was für mich einen großen Mehrwert für meine Gesundheit darstellt. Ich arbeite nun seit ein paar Jahren in einer Vier-Tage-Woche, um mir genug Zeit für Regeneration, für Sport, für Schlaf und Ruhepausen zu ermöglichen.
Leider funktioniert das nicht immer so perfekt, wie es sich anhört und wir können nun mal auch stressigen Situationen im Leben nicht entfliehen und sie sind Teil des Arbeitsalltags und die MS zeigt sich zu unberechenbaren Momenten.
Als ich meinen zweiten Schub hatte, der erst 1,5 Jahre zurückliegt, habe ich mir noch mal eine Pause und einen Moment der Reflexion genommen. Dies lag auch daran, dass es nicht möglich war, eine Stelle im Unternehmen zu finden, die meiner Situation entsprach. Was ich an der Stelle gebraucht hätte, wäre ein offener Dialog und Flexibilität. Ich war offen mit meiner Krankheit und mit dem, was ich leisten konnte. Ich war offen mit dem Grund, warum ich im Krankenhaus lag, mit einer Gesichtslähmung und starkem Schwindel und warum ich nicht zu meiner vorherigen Position zurückkehren konnte.
Dies hat letztendlich dazu geführt, dass ich mich noch einmal entschieden habe, den Job zu wechseln, und mittlerweile einen Arbeitgeber gefunden habe, der Wert auf ein gutes Arbeitsklima und eine gesunde Auslastung legt. Zwar ist dies selten, aber solche Arbeitgeber existieren da draußen, und es hat sich für mich gelohnt, den Wechsel zu wagen.
Ich sprach von Anfang an mit meinem Teamleiter über MS und wenn das Thema mit Kolleg*innen aufkommt, verschweige ich es nicht. Schließlich sehe ich mittlerweile die MS als einen Teil von mir, der nun mal zu mir gehört.
Niemand zeigt gerne (vermutliche) Schwäche. Was mich jedoch die letzten Jahre gelehrt hat, ist, dass es wichtig ist, für sich einzustehen und zu wissen, wie weit ich gehen kann. Dies ist entscheidend, um genug Energie zu haben und kontinuierlich meiner Arbeit nachzugehen, ohne dabei meine Gesundheit zu riskieren oder meine MS zu stark zu triggern.
Wenn ich Warnzeichen in meinem Körper erkenne, nehme ich mir die Pausen.
Ein hybrides Arbeitsmodell ist dabei sehr hilfreich. So kann ich im Home-Office arbeiten, wenn ich wenig Energie habe oder ich mich während einer Krankheitswelle nicht überfüllten U-Bahnen aussetzen möchte.
Chronische Erkrankungen spielen selten im Bewusstsein der Arbeitswelt eine Rolle und die eigene Situation zu erklären fällt oft schwer. Daher ist es umso wichtiger, dass wir als MS-Patient*innen für uns einstehen und uns Vertrauensperson im Unternehmen suchen, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was wir benötigen.
Am Ende bin ich dankbar für einen Job, der mich fordert, aber auch Spaß macht und sich trotzdem mit meiner Gesundheit umsetzen lässt.
Wenn es also möglich ist, nutzt alles, was euren Arbeitsalltag besser machen kann, zum Beispiel euch Verbündete zu suchen, bei Vorgesetzten oder Kolleg*innen, vielleicht gibt es auch eine DEI-Gruppe (Diversity, Equity and Inclusion) in eurem Unternehmen, die eure Interessen vertreten können und gemeinsam mit euch Lösung findet.
Letztlich ist die Arbeit, die wir in uns stecken, am meisten wert. Und wir sind selbst unser größtes Projekt, das wir gesund am Laufen halten sollten.