Ich stand gerade ganz am Anfang meiner beruflichen Karriere, als die Multiple Sklerose mit einem Donnerschlag in mein Leben eingezogen ist. Zwei Jahre zuvor hatte ich angefangen, nach meinem Bachelor-Studium in Medien und Kommunikation Vollzeit im Bereich Digitales Lernen zu arbeiten.
Direkt nach der Diagnose wollte ich am liebsten mit dem Kopf durch die Wand: Wieder nach Hause, erholen und dann weiterarbeiten. Als wäre ich mit einer Erkältung diagnostiziert worden. Schnell habe ich aber gemerkt, dass es ganz so einfach leider nicht weiterging: Nach dem Krankenhausaufenthalt folgte erstmal eine Reha, nach der beruflichen Wiedereingliederung ein weiterer Schub, daraufhin der erste Medikamentenwechsel – und da das zweite Medikament leider nicht stark genug war, noch ein weiterer Schub und ein zweiter Medikamentenwechsel.
Ich hatte zusätzlich zu meinem Fulltime-Job noch einen zweiten dazubekommen – in Form von Multiple Sklerose. Verständlicherweise hat es etwas Zeit gebraucht, um mich an mein neues Leben mit MS zu gewöhnen: Stunden reduzieren, Abteilungswechsel, erneutes Stundenreduzieren. Als meine Krankheit dann endlich soweit stabil war, erkannte ich, dass mir der Abteilungswechsel nicht gutgetan hat. Ich fühlte mich im neuen Arbeitsbereich (Marketing) nicht wohl. Das lag nicht am Team oder am Unternehmen, sondern einfach am Aufgabenbereich. Es erfüllte mich nicht, im Marketing zu arbeiten.
Allerdings wollte ich dem Ganzen noch etwas Zeit geben. Schließlich war die Arbeit im Marketing viel gelassener als die im Projektgeschäft, aus dem ich eigentlich komme (Digitales Lernen). Aber mehrere Monate vergingen – und es wurde nicht besser. Im Gegenteil: Mein Wunsch, ins Digitale Lernen zurückzukehren, wurde immer größer. Doch ich wurde wiederholt vertröstet. Über Monate. Fehlzeiten seien im Projektgeschäft kritisch und man wolle mich vor neuen Symptomen durch die MS schützen.
„Wenn ein potenzieller Arbeitgeber ein Problem mit meiner Erkrankung hat, dann sehe ich keine Zukunft für mich in dem jeweiligen Unternehmen.“
Julia Höß
Irgendwann war ich dann an dem Punkt angekommen, an dem ich mir sagte: Bis hierhin und nicht weiter. Meine Kompetenzen haben sich nicht verändert, nur weil ich Multiple Sklerose habe! Diese Erkenntnis brauchte es, um mich für ein neues Unternehmen und einen neuen Job zu öffnen – und letztlich auf Stellensuche zu gehen.
In diesem Beitrag möchte ich gerne ein paar meiner persönlichen Learnings, Aha-Effekte und Erfahrungen rund um das Bewerben mit Multiple Sklerose mit dir teilen.
Abgesehen davon, dass ich erstmal nach fünf Jahren Arbeiten im selben Unternehmen meinen Lebenslauf gehörig auffrischen musste, drang relativ schnell eine ganz spezifische Frage in meinen Kopf: Muss ich bei einer Bewerbung angeben, dass ich Multiple Sklerose habe?
Daraufhin fing ich erstmal an, zu recherchieren. Meine Ergebnisse zum damaligen Stand (2023) im Überblick – ohne Garantie auf Vollständigkeit:
Bewerbungen schreiben mit Multiple Sklerose ist nicht immer ganz so einfach. Wenn man schon einen normalen Arbeitstag hinter sich hat, kognitiv oder durch Fatigue bedingt nicht mehr so viel Energie hat, bleibt oft wenig Kapazität für das Bewerben übrig. Hier hilft es, langsam und Step by Step vorzugehen. Du musst nicht zig Bewerbungen pro Woche rausschicken – wenn es nur eine oder zwei sind, ist das auch okay. Das ist kein Wettrennen! Mach es in deinem Tempo.
„Ich habe mich entschieden, mit offenen Karten zu spielen – meine MS gehört zu mir.“
Julia Höß
Ich habe mich persönlich dazu entschlossen, bei all meinen Bewerbungen mit offenen Karten zu spielen, was die Multiple Sklerose und meine Schwerbehinderung angeht. Der Hauptgrund ist, dass ich keine 40 Stunden mehr arbeiten kann – und das lässt sich oft schneller erklären und stößt auf mehr Verständnis, wenn ich offen darlege, warum das so ist.
Fast alle Arbeitgeber, bei denen ich mich beworben habe, haben mich zu einem virtuellen Kennenlerngespräch eingeladen. Bei Stellen im öffentlichen Dienst lag die Quote sogar bei 100 % – hier hat sich die Angabe des Schwerbehinderten-Grades im Anschreiben wirklich gelohnt.
Trotzdem an dieser Stelle nochmal wichtig: Das sind meine persönlichen Erfahrungen. Es gibt nicht den einen richtigen Weg, wie man mit einer chronischen Erkrankung in der Bewerbung umgeht. Wenn du dich nicht wohlfühlst, deine MS zu erwähnen, und sie keinerlei Auswirkungen auf deine Arbeit hat, kannst du sie selbstverständlich weglassen. Ich persönlich habe mir jedoch gesagt: Wenn ein potenzieller Arbeitgeber ein Problem mit meiner Erkrankung hat, dann sehe ich keine Zukunft für mich in diesem Unternehmen.
Vor meinem ersten Gespräch im Beisein eines Schwerbehinderten-Vertreters habe ich mich gefragt, was diese Person wohl sagen wird oder von mir wissen will. Als müsste ich mich auf diesen Teil genauso vorbereiten wie auf den Rest des Gesprächs. Insgesamt habe ich zwei Bewerbungsgespräche mit Schwerbehindertenvertretung geführt. In einem Fall hat die Person quasi gar nichts gesagt, im anderen wollte sie nur wissen, ob ich spezielle Anforderungen an meinen Arbeitsplatz habe – zum Beispiel einen höhenverstellbaren Schreibtisch.
Diese Personen sind zum Schutz für dich als Bewerbende da – deshalb: keine Panik, wenn plötzlich eine Person mehr im Gespräch sitzt!
Besonders stolz war ich auf mich, als ich erkannt habe, dass eine Stelle nicht zu mir passt – und das auch offen kommuniziert habe. Stellenbeschreibung und tatsächliche Aufgaben hatten nur wenig miteinander zu tun. Das war ein weiterer großer Aha-Moment für mich – genau wie die Erkenntnis, dass meine Multiple Sklerose meine Kompetenzen nicht schmälert:
Auch wenn ich chronisch krank bin, darf ich eine Stellenausschreibung ablehnen, wenn sie nicht zu mir passt. Ich muss nicht irgendeinen Job annehmen, nur aus Angst, dass mich vielleicht sonst keiner will.
Da draußen wartet für jede arbeitsfähige Person die passende Stelle und das richtige Unternehmen. Leider braucht es manchmal ein wenig mehr Geduld, bis sich die richtige Gelegenheit ergibt. Bei mir zog sich der Prozess etwa ein dreiviertel Jahr hin. Und ja – auch ich habe Rückschläge erlebt: Eine Vertragsunterschrift scheiterte beispielsweise nur daran, dass ich nur 30 Stunden pro Woche arbeiten kann.
Aber glaub mir: Das Durchhalten hat sich gelohnt! Seit mittlerweile über einem Jahr bin ich in meinem neuen Job – und ich könnte nicht glücklicher sein. Es passt einfach alles: das Team, meine Aufgaben, der Arbeitgeber.
Wenn du also gerade mit dem Gedanken spielst, dir einen neuen Job zu suchen, dann: Sei mutig!
Glaub an dich und das, was du kannst.
Du bist mehr als die Multiple Sklerose!
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