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Julia Bierenfeld

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Selbstständigkeit mit MS: Mein Weg zu einem erfüllten Berufsleben

Arbeiten mit MS

Selbstständigkeit

Zuletzt aktualisiert: 04.06.2024

Selbstständigkeit und MS, Arbeiten mit MS, Arbeit und MS

Unsere Bloggerin Julia teilt in diesem Artikel ihren Weg vom Angestelltenverhältnis und einem Antrag auf Teil-Erwerbsminderung hin zur Selbstständigkeit mit MS. Sie gibt Tipps für den Start und einige Hinweise darauf, was es bei dem Start zu beachten gibt.

Inhaltsverzeichnis

Als ich 2014 meine Diagnose MS erhielt, stand ich bereits mitten im Berufsleben. Ich hatte einen festen Job im Vertrieb eines Herstellers von Medizinprodukten und absolvierte gerade die Abschlussprüfung für mein BWL-Studium. Ich hatte noch einige große Ziele, die ich mir in meinem Job erfüllen wollte. Eine Selbstständigkeit war nie Teil meines Plans. Zwar hatte ich früher schon mal ein kleines Handmade Business aber eher zum Spaß, als damit wirklich Geld verdienen zu wollen.

MS und Selbstständigkeit – für mich kein Thema!

Nachdem ich 2017 meinen Blog startete und dann Ende 2018 meine ersten Vorträgen zur antientzündlichen Ernährung angeboten hatte, machte mir das so viel Freude, dass ich dies nebenberuflich intensiver verfolgen wollte. Aber eine volle Selbstständigkeit, dazu war ich nicht bereit. Ich hatte zu viel Angst, was passieren würde, wenn ich durch die MS länger krank sein sollte. Oder wenn ich gar nicht mehr arbeitsfähig sein würde. Wie ich meine Rente absichern würde und auch die ganzen Kosten für die Krankenversicherung stemmen sollte. Darüber wollte ich mir nicht auch noch Sorgen machen müssen.

Während der letzten Jahre spürte ich immer mehr, wie sehr mich mein Angestelltenverhältnis belastete. Egal, ob es die negative Einstellung der Kolleg*innen war, die schlechte Stimmung im Team oder dass ich meine Arbeit wegen interner Prozesse nicht ordentlich erledigen konnte. Zudem hatte ich immer häufiger mit Symptomen zu kämpfen. Konzentrationsschwierigkeiten, Erschöpfung, Blasen- und Sehstörungen – gefühlt war jeden Tag etwas anderes. Ich musste etwas ändern und entschied mich, meine Arbeitszeit zu reduzieren auf 24 Stunden in der Woche. Während der Corona-Zeit war ich sehr lange im Home Office. Ich hoffte mir so sehr eine Verbesserung meiner Symptome, doch sie kam leider nicht. Die Prozesse wurden noch schwammiger, der Druck größer. Die Einstellung meines Chefs zu Corona und den Maßnahmen, die er regelmäßig in E-Mails verkündete, setzten dem Ganzen noch die Krone auf – ich kündigte.

Mein Angestelltenverhältnis wirkte sich negativ auf meine Gesundheit aus

Ich spürte, dass ich in dieser (teilweise uniflexiblen) Arbeitswelt nicht mehr meine volle Leistung bringen konnte. Ich fühlte mich von Tag zu Tag weniger in der Lage meine Arbeit erledigt zu bekommen, trotz meiner 24 Stunden. In einem Gespräch mit einer Bekannten, bekam ich den Tipp eine Teil-Erwerbsminderungsrente zu beantragen, wenn ich nicht mehr voll arbeitsfähig war. Ich hatte ein mulmiges Gefühl, aber ich wusste, dass ich nicht mehr Vollzeit arbeiten gehen kann und die finanziellen Einbußen dadurch gut damit abfangen konnte. Also reichte ich den Antrag noch vor der Kündigung ein. Aber jetzt brauchte ich erst mal eine Auszeit und wollte mir klar darüber werden, wie ich mir mein weiteres berufliches Leben vorstelle.

Ein neuer Job zeigte mir, was mir wirklich wichtig ist

Nach einem kurzen und rein zufälligen Zwischenstopp bei einem Unternehmen im Nachbarort in dem ich wirklich sehr viel Wertschätzung und Unterstützung erfahren habe, spürte ich, wie wichtig genau das für meine Gesundheit ist. Mir ging es schlagartig besser. Ich hatte nur noch wenig Symptome und konnte mir sogar vorstellen wieder mehr Stunden zu arbeiten. Und das alles nur, weil mir die Flexibilität und die Wertschätzung gegeben wurde, die ich brauchte, um meine volle Arbeitsleistung zu bringen. Ich zog den Antrag auf Teil-Erwerbsminderungsrente zurück. Zwei Monate später wurde der Standort leider geschlossen und ich hatte keinen Job mehr.

Der Wunsch nach einer Selbstständigkeit wurde immer größer

Zum einen war ich sehr traurig, zum anderen keimte nun doch der Gedanke in mir, dass ich den Sprung in die Selbstständigkeit wagen könnte. Mein erster Ratgeber verkaufte sich gut. Ich durfte mittlerweile auch einige Menschen über mehrere Monate begleiten, was mir unglaublich viel Freude bereitete und die Kampagnen und Vorträge wurden auch sehr gut angenommen. Ich hatte mir also bereits nebenbei eine gute Grundlage aufgebaut. Und ehrlich gesagt war ich mir sicher, dass es mir ohne diese Abhängigkeit und das Fremdbestimmtsein gesundheitlich wesentlich besser gehen würde, trotz der Unsicherheiten, die eine Selbstständigkeit mit sich bringt. Mein Partner unterstütze mich sehr in diesem Prozess und ermutigte mich immer wieder diesen Schritt zu gehen. Er sah, wie sehr mich diese Arbeit erfüllte und wie ich darin aufging.

Gründungszuschuss für einen sorgenfreien Start in die Selbstständigkeit

Ich fing an zu recherchieren, welche Möglichkeiten es gab, mich bei diesem Schritt unterstützen zu lassen. Ich fand heraus, dass ich einen Gründungszuschuss beantragen konnte und das machte ich auch gleich. Außerdem buchte ich ein Business Coaching, das mich dabei unterstützen sollte, meine Selbstständigkeit auf ein stabiles Fundament zu stellen. Am 01.07.2022 startete ich also offiziell in die Selbstständigkeit. Mit dem Gründungszuschuss (der leider bei einer Teilzeitstelle nicht sehr hoch ausfiel) konnte ich zumindest die Kosten für Krankenversicherung und Rente absichern. Zudem hatte ich noch ein paar Ersparnisse, die mich erst einmal unterstützen würden die Anfangsphase zu stemmen.

Mein Glück war, dass ich bereits nebenberuflich angefangen hatte mir diese Selbstständigkeit aufzubauen. Dazu möchte ich auch jede*n animieren, die*der mit dem Gedanken spielt, sich selbstständig zu machen. Denk aber bitte daran, dass diese Nebentätigkeit mit dem/der Arbeitgeber*in abgestimmt sein muss. Außerdem hatte ich meine Ausbildungen bereits nebenberuflich absolviert und musste erst einmal keine größeren Investitionen tätigen.

Ein Online Business lässt sich bereits mit kleinem Budget starten

Ein Online Business, kann man sehr gut mit einem kleinen Budget aufbauen, was aber auch bedeutet, dass ich alles selbst gemacht habe. Ich habe meine Website erstellt, muss mich also auch um alle technischen Probleme und Updates kümmern, mache meine Buchhaltung, verpacke und versende meine Bücher, schreibe Rechnungen, Angebote, meine Posts, Newsletter und erstelle meine Präsentationen und Druckerzeugnisse selbst. Gerade in den ersten Jahren holt man sich so wenig externe Unterstützung wie nötig, um die Kosten möglichst gering zu halten.

Aber auch diese Aufgaben machen Freude, weil ich immer wieder mein großes Ziel vor Augen habe. Natürlich gibt es auch Aufgaben, die ich gerne ein paar Tage vor mir her schiebe – Buchhaltung zum Beispiel – aber auch lässt sich in der Anfangsphase wirklich gut regeln. Da der Start meist als “Kleinunternehmer” erfolgt, gibt es hier nur wenig Anforderungen an die Buchhaltung.

Selbstbestimmt und selbstständig arbeiten mit MS – Meine Kehrtwende

Meine Gesundheit hatte schon durch diesen kurzen beruflichen Zwischenstopp einen gewaltigen Schubs bekommen, aber von nun an ging es wirklich bergauf. Heute kann ich mir meine Zeit frei einteilen. Fange meist nicht vor 9 Uhr an zu arbeiten, weil ich mir vorher Zeit für mich und meine Routinen nehmen möchte und gönne mir so viele Pausen am Tag, wie ich es für nötig empfinde. Es kann vorkommen, dass ich zum Frühstücken ins Café gehe und dort ein wenig arbeiten, ich um 14 Uhr die Sauna anwerfe oder dass ich bis 21 Uhr am Laptop sitze und Unterlagen für den nächsten Vortrag vorbereitete. Ich mache Spaziergänge zwischen meinen Terminen oder arbeite in der Sonne auf der Terrasse.

Plötzlich sind 40 und mehr Stunden in der Woche arbeiten völlig normal, ohne dass mir die MS Probleme bereitet. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass sich mein Gesundheitszustand – natürlich auch mit Unterstützung von anderen Maßnahmen – so sehr verbessern würde. Ich habe so viel Freude an meiner Arbeit, an den Menschen und vor allem erfüllt mich all die Wertschätzung die ich geben und empfangen darf. Ich empfinde Arbeit nicht mehr als Belastung, sondern als etwas, was mich rundum glücklich macht.

Meine Motivation an dich – Trau dich!

Es gibt so viele Möglichkeiten sich mit MS selbstständig zu machen. Auch gibt es gute Absicherungen und Starthilfen für die Selbstständigkeit. Ich kann dich nur ermutigen erst einmal klein und nebenberuflich zu starten und zu schauen, wie es sich entwickelt. Lass dich gut beraten – bei der IHK oder einer Gründungsberatung. Dafür kannst du sogar Zuschüsse von der Agentur für Arbeit bekommen. Auch kannst du dich vorab bei den Krankenkassen informieren, welche Kosten auf dich zukommen, wenn du in die 100%ige Selbstständigkeit gehst – nebenberuflich fallen erst einmal keine weiteren Kosten an, sofern du mehr Stunden für deinen Hauptjob arbeitest als für die Selbstständigkeit. Eine besondere Situation besteht allerdings, wenn du bereits eine Rente bekommst. Erkundige dich hier in jedem Fall bei deiner Krankenkasse.

Der erste Schritt: Was du für die Gründung brauchst

Für die Gründung brauchst du erst mal nur eine gute Idee und eine Anmeldung beim Gewerbeamt – ausgenommen sind hier freiberufliche Tätigkeiten, wie wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeiten. Die Kosten für die Gewerbeanmeldung liegen bei ca. 30 EUR. Und dann kannst du eigentlich schon loslegen, denn bis auf die Anmeldung bei der Rentenversicherung läuft alles automatisch. Natürlich gib es noch ein paar wichtige Sachen, die du dir anschauen solltest:

  • Geschäftskonto einrichten
  • rechtliche Anforderungen an eine Rechnung
  • Grundlagen Buchhaltung / evtl. Software
  • evtl. Berufshaftpflichtversicherung
  • Homepage erstellen (ist kein Muss!)
  • Datensicherheit / Rechtstexte

Gute Informationsquellen für Gründer sind die Websites “Für Gründer” und “Selbstständig”. Außerdem findest du auch reichlich Informationen bei deiner IHK vor Ort.

Du kannst nicht in allem Expert*in sein

Für mich war es auch wichtig, mich begleiten zu lassen. Wir können nicht für alles der/die Expert*innen sein und gerade der online Markt ist stark umkämpft. Daher ist eine Unterstützung nicht zu unterschätzen. Es geht auch ohne, dauert aber meist länger. Mittlerweile bin ich seit einem Jahr in einem Business Coaching und ich habe so viel Neues gelernt. Meine Kommunikation verbessert, mein Angebot überarbeitet, regelmäßig Klientinnen gewonnen und viele tolle und gleichgesinnte Menschen kennengelernt, die auch etwas in dieser Welt verändern wollen.

Trotz aller Unsicherheiten – Es lohnt sich so sehr diesen Weg zu gehen.

Auch wenn eine Selbstständigkeit viele Unsicherheiten mit sich bringt, wie ein regelmäßiges Einkommen zu erwirtschaften, Rechnungen zahlen zu können, sich für das Alter absichern zu können und seinen anderen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen und natürlich auch die Möglichkeit längere Zeit aufgrund der Erkrankung auszufallen, bin ich glücklicher den je diesen Schritt gegangen zu sein. Ich fühle mich dort angekommen, wo ich etwas bewirken und andere Menschen mit MS unterstützen kann. Sei es mit meiner Arbeit als Mentorin oder auch mit der Arbeit für aMStart. Heute bin ich genau da, wo ich sein möchte.

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Portrait von Julia, Teammitglied und Bloggerin bei aMStart

Julia Bierenfeld

Als Bloggerin bei aMStart dabei. Zuvor hatte sie selbst einen MS-Blog, der ihr den Weg in die Selbstständigkeit ebnete. Mit hilfreichen Informationen und Tipps möchte sie jungen Menschen Mut machen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. aMStart hätte Julia sich sehnlichst bei ihrer eigenen MS-Diagnose gewünscht!

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